Vor Faschismus und Klimakatastrophe rettet uns nur Selbstorganisation
Ein Statement an die Mitglieder aller Gewerkschaften und die basisdemokratischen und kapitalismuskritischen Bewegungen wie SoLaWi-Netzwerk, Kollektivbetriebsbewegung, Mietshäusersyndikat, Polyklinik-Bewegung, die kritischen Teile der Klimabewegung und all die Weggefährt:innen, die wir noch gar nicht kennen.
Als Branchenorganisation IGG sehen wir Deutschland aktuell in einer Phase erneuter Hinwendung zum Faschismus. Akteur:innen dieser Faschisierung der Bundesrepublik sind dabei längst nicht nur die Demagog:innen der AfD sondern die Vertreter:innen fast aller großen Parteien, große Teile der Wirtschaft und des deutschen Journalismus. Währenddessen rast die gesamte Welt weiter auf den Abgrund von Klimakatastrophe, Konzernmacht, Blockkonflikten und außer Kontrolle geratenen Technologien zu. Wir fordern hiermit unsere Partner:innen und Kolleg:innen aus anderen Branchen auf, sich dieser Entwicklung mit Basisorganisationen entgegen zu stellen und sich nicht mehr auf „demokratische Parteien“, staatlich und privatwirtschaftlich finanzierte NGOs oder Lobbyorganisationen zu verlassen.
In Deutschland sehen wir in Zeitlupe dem vorhersehbaren Aufstieg der AfD zu, der sich seit mindestens 8 Jahren abzeichnet und leider nicht unwahrscheinlicher weise 2029 zu einer AfD-Regierung auf Bundesebene führen könnte. Dabei hat die AfD schon seit 2024 im Wesentlichen einen Sieg errungen: Sie ist unangefochten stärkste Partei in Ostdeutschland, sie gilt als die oppositionelle Kraft schlechthin in weiten Teilen der Bevölkerung, ihr Wahlprogramm hat sich auf den Kurs des deutschen Journalismus und der großen deutschen Parteien übertragen, ohne dass sie in die Regierung kommen oder die Medien gleichschalten musste. Faktisch bestimmt die AfD also in weiten Bereichen das politische Geschehen – zumindest aus der Sicht von Erwerbslosen und Geflüchteten.
Die CDU, die nun wieder zur stärksten Partei geworden ist, lässt sich in dieser Hinsicht kaum von der AfD unterscheiden. Ihr Wahlkampf setzte die Hetze und die Entrechtung von Menschen mindestens ebenso zentral wie die Blauen. Die SPD wird sich in dieser Situation wie seit 150 Jahren als williges Anhängsel der Macht benehmen und hatte ohnehin nie ein größeres Problem mit der Beerdigung der Menschenrechte¹. Die Grünen werden sich wieder den sozialen Bewegungen aufnötigen, obwohl sie eben noch Klimapolitik sabotierten, sich der Erhöhung der Abschiebezahlen rühmten und Rüstungsexporte an autoritäre Regime freigaben. Und genug soziale Bewegungen werden sie wieder aufnehmen, spätestens, wenn die Partei mit dem Geld ihrer Lobbyorganisationen wedelt.
Währenddessen wird die Deglobalisierung, die Entkopplung internationaler Märkte, zu der es im Zuge des neuen Blockkonflikts zwischen den USA und China kommt, die exportorientierte Wirtschaft Deutschlands weiter ins Trudeln bringen und die realpolitischen Spielräume für Sozial- und Klimapolitik weiter eindampfen. Die deutschen Parteien, die nichts mehr fürchten als den desolaten Kapitalismus an sich in Frage zu stellen, haben damit im Wesentlichen nur noch in einem Feld Gestaltungsmacht an der Hand um die verarmenden, zunehmend desorientierten und resignierten Massen bei der Stange zu halten: Das Treten nach unten und das verzweifelte Festklammern an Identitäten wie „deutsch“, „ostdeutsch“, „hart arbeitend“, „hetero“ und so weiter.
Keine dieser politischen Kräfte kann und will benennen, was in weiten Teilen der Bevölkerung Konsens ist: Das der Kapitalismus ein System ist, das unsere Lebensgrundlagen verschlingt, dass uns keine rosige Zukunft sondern ein vergifteter, glühend heißer Planet, beherrscht von Konzernen und Milliardären, Weltkrieg und Verelendung bevorstehen. Wir müssen einen neuen Kurs einschlagen. Der politische Diskurs verweigert sich der Realität, den eigentlichen politischen Themen, die die Bevölkerung umtreiben (was Analogien zur sterbenden DDR im Osten so offensichtlich macht). Der Diskurs verweigert sich auch dem Sprechen über eine realistische Zukunft – von einer lebenswerten Zukunft ganz zu schweigen.
Das Kippen Deutschlands in Sozialdarwinismus und wohl bald auch den Faschismus ist dabei jedoch nur ein Detail der aktuellen Misere. Die bürgerliche Repräsentativdemokratie erscheint gerade als Auslaufmodell das weltweit und gleichzeitig von rechten Bewegungen, Superreichen und Autokraten deinstalliert wird. Mit Musk beginnt in den USA ganz offen die Herrschaft der Milliardäre und Konzerne. Neue Technologien bedrohen die letzte ökologische Stabilität aber mittelfristig auch jede Möglichkeit zur oppositionellen Organisation, später vielleicht auch zum oppositionellen Denken. Wir haben die zweifelhafte Ehre, in der Zeit zu leben, in der die großen Technologie-Dystopien von der Realität überholt werden. Expert:innen sprechen von Weltverlust, die Menschen stellen ihren Kinderwunsch zurück oder schotten sich gegen die Realität ab und hören auf die Nachrichten zu hören. Es sagt alles über unsere politische Verfassung aus, dass in solch einer Situation nichts anderes verhandelt wird, als die Anzahl an Geflüchteten und die Drangsalierung von Erwerblosen. Und es sagt alles über unsere sozialen Bewegungen und ihre Unabhängigkeit aus, dass uns in so einer Situation nichts anderes auf die Straßen treibt als diese Karikatur einer Demokratie zu verteidigen.
Als IGG sind wir eine antikapitalistische Branchenorganisation im Aufbau. Das heißt, wir organisieren uns nicht nur, um uns im Alltag in unseren betrieblichen Situationen zu unterstützen und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, sondern wir kommen als Kolleg:innen auch mit dem Anspruch zusammen, über die Neugestaltung unserer Branche zu diskutieren: Wie muss unsere Branche aussehen und umgestaltet werden, damit sie den Menschen dient und unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhält? Wie können wir das bestmöglich durchsetzen? Land- und Forstwirtschaft sind dabei ebenso wie die Umweltberufe wichtige Sektoren. Doch klar ist auch, wir brauchen ähnliche Zusammenschlüsse von Branchenarbeiter:innen in vielen anderen Bereichen: In der Lebensmittelverarbeitung, den Ingenieurswissenschaften, dem Gesundheitssystem, der Logistik, der Wasser- und Energiewirtschaft, dem Bau- und Baustoffsektor, der chemischen Industrie… Die Verfahrenheit unserer heutigen Situation macht es mehr als deutlich: Keine Partei wird diese Umgestaltung unserer Wirtschaftsweise in die Hand nehmen oder sie auch nur als Thema setzen, niemand wird uns Arbeiter:innen die wir erschrocken dem „Weltverlust“ zuschauen eine Stimme geben. Niemand wird kommen und uns und die Zukunft retten. Wir müssen das alles selbst tun – eher gegen alle Parteien, als mit ihnen.
Aus diesem Grund sind wir zusammengeschlossen in der antikapitalistischen und basisdemokratischen Gewerkschaftsföderation FAU. Und wir organisieren uns international mit anderen Gewerkschaften und Gewerkschaftsinitiativen, die das selbe wollen. Denn wir müssen über diese weltweite Abwärtsspirale auch weltweit ins Gespräch kommen, mit den Arbeiter:innen in China, Myanmar, Sudan, Syrien, Gaza, Türkei, Russland, Ukraine, Polen, Spanien, Frankreich, Griechenland, USA, Argentinien, Mexiko und überall sonst.
Wir fordern alle Kolleg:innen der verschiedenen Branchen auf, sich ähnlich zu organisieren, ihre Branchen neu zu denken, für den Fall eines Kollapses kapitalistischer Versorgung² aber auch für eine nachhaltige, ökologische, regionalisierte und basisdemokratische Zukunft. Und wir bitten alle basisdemokratischen, antikapitalistischen und kapitalismuskritischen Vereinigungen, darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam in Deutschland eine eigene politische Kraft werden können, die die Themen benennt und angeht, die vielen Millionen Menschen in Deutschland wirklich unter den Nägeln brennen, von denen sie aber die Hoffnung verloren haben, dass sie politisch überhaupt verhandelt werden. Vielleicht brauchen wir regelmäßige Konferenzen, vielleicht ein dauerhaftes Bündnis. Auf jeden Fall müssen wir miteinander ins Reden und Handeln kommen, wir müssen die Ohnmacht überwinden und von der Rolle der passiven Zuschauer:innen in die der aktiv Handelnden kommen. Es sollte keine deutschlandweiten Großdemonstrationen mehr geben, ohne das der Systemwechsel angemahnt und die Träger:innen potentieller Systemalternativen eine starke Stimme haben. Zeigen wir uns, werden wir laut! Es ist vielleicht unsere letzte Chance.
Initiative Grüne Gewerke innerhalb der Gewerkschaftsföderation FAU
¹ Vom 1. Weltkrieg über Berufsverbote, die erste Kriegsbeteiligung Deutschlands nach 1945 über die Einführung von Hartz IV, den Export von Kriegsgerät an Diktaturen und Regime bis hin zum EU-Türkei-Deal wären zahllose Beispiele zu nennen.
² Wie bspw. aus der Gesundheitsversorgung in Griechenland oder vielen sozialen Bewegungen Südamerikas bekannt.
Weiter Informieren:
Hier eine Film- und einige Textempfehlungen, um sich diesen Themen anzunähern.
Filmische Skizze für eine sozial-ökologische Transformation:
Labournet.tv – der Laute Frühling: https://de.labournet.tv/project/der-laute-fruehling
Zur aktuellen Faschisierung Krisen- und Faschusmusforscher Tomasz Konicz: https://www.konicz.info/2025/01/18/die-schluesseluebergabe/ und weitere Texte auf seiner Website
Zu Weltverlust und Notwendigkeit eines neuen Mensch-Umwelt-Verhältnisses:
Eva von Redecker – „Revolution für das Leben“ (2020) und „Bleibefreiheit“ (2023)
Zu Landwirtschaft und Ernährungsindustrie:
Martin Grassberger – Das leise Sterben (2022)